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Ein Jude „im Dienst“ des Dritten Reiches

מאת: ,
הוצאה: | 2001 | 445 עמ'
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Ein Jude „im Dienst“ des Dritten Reiches ist die einzigartige, wahre Geschichte eines jungen Juden aus der Sowjetunion, der im Auftrag des sowjetischen Nachrichtendienstes über zweieinhalb Jahre lang in der deutschen Wehrmacht diente.

Trotz der ständigen Gefahr, dass seine subversive Tätigkeit oder – nicht weniger folgenschwer – seine jüdische Herkunft entdeckt werden, gelingt es Jacob, das absolute Vertrauen der Deutschen zu gewinnen und inmitten der Wehrmacht an verschiedenen Orten Europas, darunter auch in Deutschland, seine Mission zu erfüllen. Mit Geistesgegenwart, Improvisationstalent und sehr viel Glück rettet er sich immer wieder aus den schier aussichtslosen Notlagen, in die er durch seine geheimen Aktivitäten gerät.

In diesem Buch jagen sich dramatische Ereignisse, schier unglaubliche Situationen, Gefahren auf Schritt und Tritt, Liebschaften im Schatten des Krieges, die alle im Zeichen der unfassbaren Zufälligkeit des Schicksals stehen.

Jacob Ingerman wurde 1919 in Schepetowka (Ukraine) geboren, studierte Mathematik an der Universität Kiew und war als Lehrer tätig, als der Krieg ausbrach. Nach der Kapitulation Deutschlands half er, jüdische Holocaustüberlebende nach Palästina zu schmuggeln, wanderte 1946 selbst in das damals britische Mandatsgebiet ein und war 35 Jahre im israelischen Nachrichtendienst tätig.

מקט: 001-3000-726
Ein Jude „im Dienst“ des Dritten Reiches ist die einzigartige, wahre Geschichte eines jungen Juden aus der Sowjetunion, der im […]

1. Kapitel

Die Landung hinter den feindlichen Linien

 

Es ging auf Mitternacht zu. Wir stiegen in das sowjetische Frachtflugzeug und nahmen unsere Plätze ein, jeweils sechs auf beiden Seiten der Maschine. Mit den angeschnallten Fallschirmen zu sitzen war nicht gerade bequem, doch keiner achtete darauf. Wir saßen still und in uns gekehrt nebeneinander. Ich dachte an die bevorstehende Mission. Und ich gebe zu, dass ich Angst hatte.  

 

Kurz darauf starteten wir. Der Fallschirmausbilder ging die Reihen ab, prüfte, ob die Gurte festgezurrt waren, und befestigte die automatische Öffnungsvorrichtung an dem dafür bestimmten Kabel. Die Flugzeugtür stand offen und der Maschinenlärm dröhnte uns in den Ohren. Ich weiß noch, dass es eiskalt war und immer kälter wurde, je höher das Flugzeug stieg.

 

Es schien, als kämen wir nur langsam voran, doch in Wirklichkeit hatten wir bald die Frontlinie überquert und flogen über sowjetisches Gebiet, das die Deutschen erobert hatten. Ich versuchte, die Adressen der Verbindungsleute zu memorieren, mit denen ich Kontakt aufnehmen sollte, aber mein Gedächtnis war wie leer gefegt. Ich hatte sie mir stundenlang eingeprägt, doch die Ereignisse der letzten Stunden, die große Aufregung und die Angst, den Deutschen in die Hände zu fallen, verdrängten diese wichtigen Informationen.

 

Ich verkroch mich Wärme suchend in meine Jacke, doch es nützte nichts. Die Kälte im Flugzeug war kaum auszuhalten. Ich dachte an zu Hause, an meine Familie, die ich schon über ein Jahr nicht gesehen hatte, und fragte mich, ob noch alle am Leben waren und wie es ihnen gehen mochte. Vor allem dachte ich an meine Mutter und stellte mir vor, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste, worauf ich mich eingelassen hatte…

 

Auf einmal rief der Ausbilder: „Schaut raus, unten sind schon die Signale zu sehen!“ Wir sahen aus dem Fenster und entdeckten Feuerzeichen, die dem Piloten die Landungsstelle signalisierten. Neben den Feuern konnte man auch schattenhafte Gestalten erkennen. Die Partisanen warteten auf uns. Plötzlich ertönte ein Klingelzeichen, der Ausbilder lief zur Pilotenkabine, kam wieder zurück und sagte, die Deutschen hätten das Flugzeug entdeckt und wären dabei, auf uns zu schießen … Und tatsächlich glitt ein Scheinwerfer über den Himmel und versuchte, das Flugzeug zu orten, dessen Motorenlärm anscheinend von unten zu hören war.

 

Der Pilot machte eine Kehrtwendung und entfernte sich aus der Gefahrenzone. Dann ging es an den Absprung. Keiner wollte als Erster springen. Schließlich schoben sie uns einen nach dem anderen zur Tür … und stießen uns hinaus. Als ich an der Reihe war, wollte ich kehrtmachen, doch dann spürte ich einen Stoß und fiel ins Leere. Zum Glück öffnete sich der Fallschirm automatisch. Hätte ich ihn selbst öffnen müssen, wäre mir das sicher nicht gelungen.

 

Draußen war es kalt und nass. Es regnete. Das Flugzeug entfernte sich schnell und mit ihm der Motorenlärm. Die absolute Stille, in die ich hineinfiel, wurde nur durch die Geschützsalven der Deutschen unterbrochen. Ich konnte nicht ausmachen, von wo aus sie schossen, und sah auch keine Partisanen mehr. Vermutlich hatten wir uns zu weit vom Landungsort entfernt oder sie waren geflohen, als das Flugzeug entdeckt wurde.

Ich landete im freien Gelände auf meinem linken Bein, an dem ich in den letzten Monaten zweimal verwundet worden war. Ein heftiger Schmerz durchzuckte mich, doch ich versuchte, mich an die Anweisungen zu halten und als Erstes den Fallschirm loszuwerden. Ich raffte ihn zusammen und schnitt mit einem Messer, das man uns mitgegeben hatte, die Schnüre durch. Dann vergrub ich den Fallschirm in der schlammigen Erde. Die Anstrengung tat mir nicht gut, der Schmerz in meinem Bein wurde schlimmer und ich merkte, dass ich mich nicht fortbewegen konnte.

 

Ich blieb mitten im Feld im Morast liegen. Der Nieselregen hörte nicht auf und die Kälte drang mir bis ins Mark. Völlige Finsternis umgab mich. Ich konnte nicht erkennen, wo ich mich befand. Ich sah kein Licht, kein Dorf, keinen von den Partisanen, die uns in Empfang nehmen sollten. Nirgendwo ein Lebenszeichen. So  blieb ich bis zum Morgen liegen. Im ersten Morgengrauen entdeckte ich nicht weit von mir einen Strohhaufen. Bis auf die Haut durchnässt und zitternd vor Kälte kroch ich darauf zu, grub mir eine Kuhle im Stroh und versuchte, mich ein wenig aufzuwärmen. Ich nahm mir vor, bis zum Tagesanbruch abzuwarten. Vielleicht würde sich etwas ergeben.

 

Der Regen hatte aufgehört, doch es war immer noch nass und neblig. Ich wartete still, bis ich plötzlich ein Rascheln hörte und erstarrte. Waren das Feldmäuse? Oder ein Bauer, der seiner Arbeit nachging? Oder deutsche Soldaten, die nach den Fallschirmspringern suchten? Nach einigen Angstsekunden stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus. Zu meiner Freude hatte einer der Männer, die mit mir abgesprungen waren, auf der anderen Seite des Strohhaufens Zuflucht gesucht. Wir einigten uns darauf, dass es sinnlos war, nach den Partisanen zu suchen, die uns in Empfang nehmen sollten. Am besten war es, diesen Ort zu verlassen, weil wir befürchten mussten, dass die Deutschen bereits auf der Suche nach uns waren. Wir hatten beide Kontaktadressen, die wir aufsuchen sollten, und beschlossen, uns auf den Weg zu machen.

 

In den frühen Morgenstunden fanden wir noch zwei von unseren Leuten. Da ein Trupp von vier Männern Verdacht erregen konnte, legten wir uns für den Fall, dass wir auf Deutsche stoßen würden, eine Tarnungsgeschichte zurecht: Wir seien  Traktoristen, die im Auftrag ihrer Kolchosen Traktoren aus Stalingrad holen sollten, und seien unterwegs beschossen worden. Die Traktoren seien verbrannt und wir hätten beschlossen, zu Fuß nach Hause zurückzukehren.

 

Unsere Kleidung passte nicht zur Traktoristen-Geschichte. Zum Teil trugen wir noch die Uniform der Roten Armee. Wenn die Deutschen uns erwischten, würden sie uns für Kriegsgefangene halten. Nach dem Plan hätten die Partisanen uns für die jeweilige Rolle, die wir spielen würden, neu einkleiden sollen. Wir beschlossen, im nächsten Dorf unsere Kleider zu wechseln, zumal sie nass und schlammig waren.

 

Wir wussten nicht genau, wo wir uns befanden, weil wir weit von dem Ort entfernt waren, den der Frontnachrichtendienst für unsere Landung ausgewählt hatte. Wir marschierten so schnell wie möglich. Mein Bein tat höllisch weh, doch ich hatte keine Wahl. Ich biss die Zähne zusammen und ging weiter. Die anderen passten sich meinem langsamen Tempo an, und ich tat mein Bestes, sie nicht aufzuhalten und in Gefahr zu bringen. Wir hielten uns meistens an offenes Gelände, um keinen deutschen Soldaten auf den Straßen zu begegnen.

 

Nach einigen Stunden sahen wir in der Ferne ein Dorf, beschlossen jedoch, nicht gleich dorthin zu gehen, sondern die Dunkelheit abzuwarten, um uns nicht unnötig in Gefahr zu begeben. Während des Wartens stellte sich heraus, dass wir uns neben einer Straße befanden, auf der deutsche Truppen unterwegs waren. Es war das erste Mal, dass ich den Feind aus der Nähe sah. Die Einheit gehörte zur SS-Panzerdivision Adolf Hitler. Der Konvoi war sehr lang. Die Panzer fuhren sorglos mit aufgedrehten Scheinwerfern. Die Soldaten standen aufrecht mit hochgekrempelten Ärmeln im Geschützturm, angetan mit den Nazisymbolen und -abzeichen, die ich aus Filmen oder Zeitungen kannte. Sie sahen gesund, braungebrannt und selbstbewusst aus. Offensichtlich hatten sie das Gefühl, dass die Russen ihnen nichts anhaben konnten, und das jagte uns große Angst ein. Wir warteten noch sehr lange, bis die ganze Kolonne vorbeigefahren war.

 

In diesen Stunden plagten uns schwere Befürchtungen. Ich sah uns schon in deutscher Gefangenschaft, und mir war klar, dass ich als Jude in Lebensgefahr war. Zu jener Zeit waren noch keine Einzelheiten über den „Endlösungs“plan der Nazis bekannt, aber ich wusste, dass in den Gebieten, die Deutschland erobert hatte, Juden nicht nur in getrennte Lager gesteckt, sondern auch getötet wurden. Ich musste an die Flugblätter denken, die die Deutschen schon in den ersten Tagen ihrer Offensive an der russischen Front abgeworfen hatten. In den Aufrufen in russischer, ukrainischer und deutscher Sprache, die ich selbst gelesen hatte, wurden die Juden als der Erzfeind Deutschlands und als Hauptgrund für den Krieg angeprangert.

 

In der Nacht beschlossen wir, dass einer von uns das Dorf erkunden sollte, um sich zu vergewissern, dass sich keine Deutschen darin aufhielten. Nach einer Weile kam unser Mann  zurück und berichtete, die Deutschen seien vorher da gewesen, aber inzwischen abgezogen, und es bestehe keine Gefahr. Wir gingen zum Dorf und trafen dort vor allem Frauen, Kinder und alte Leute an. Sie gaben uns zu essen und zu trinken und brachten uns Kleider von den Familienmitgliedern. Als wir fragten, wo wir uns befanden, stellte sich heraus, dass das Dorf auf russischem Boden zwischen Tschertkowo und Millerowo lag. Ich glaube, es hieß Karpatowa.

 

Wir mussten überlegen, wie es weitergehen sollte. Zum Glück kannte einer der  Männer unseres Trupps, der Offizier in der Roten Armee war, diese Gegend. Er war ein Mensch, der Autorität ausstrahlte, was bereits in seinem Tonfall zum Ausdruck kam. Zudem war er älter als wir. Ich weiß nicht mehr, mit welchen besonderen Aufgaben er betraut war, doch er übernahm das Kommando und beschloss, uns zu einem Dorf namens Nikolajewskaja Staniza im Unterlauf des Don zu führen (eines der von Kosaken bewohnten Agrardörfer, die Staniza genannt werden und in der Don-Gegend häufig zu finden sind). Er hatte dort Bekannte und die Adresse einer Kontaktperson. Auch die Kontaktadressen, die andere Männer aus unserer Gruppe hatten, befanden sich in dieser Gegend.

 

Wir beschlossen, vor allem nachts zu marschieren und uns tagsüber in den Feldern oder an anderen ungefährlichen Orten zu verstecken. Landkarten besaßen wir nicht, und niemand wusste genau, wie groß die Entfernung nach Nikolajewskaja Staniza war. Wir kannten die Gegend nicht, doch nach dem Sonnenstand marschierten wir in Richtung Rostow. Geplant war, von Dorf zu Dorf zu gehen und nach dem Weg zu fragen, bis wir am Ziel anlangten. Nach einigen Tagen bekamen wir von einem Schüler eine Landkarte, mit deren Hilfe wir uns mehr oder weniger gut zurechtfanden. Wir wussten nun, welche Richtung wir einschlagen mussten. Die eintönige, flache Steppenlandschaft erschwerte die Orientierung.

 

Die Bauern in den Dörfern erwiesen sich als hilfsbereit, doch die Angst vor Entdeckung trieb uns bald weiter. Zu dieser Zeit fand der große Angriff in Richtung Stalingrad statt und alle Dörfer und Straßen waren voll deutscher Truppen. Wir bemühten uns, unseren Marschplan einzuhalten. Nach einigen Tagen näherten wir uns einem bestimmten Dorf und gegen Abend ging einer von uns dorthin, um die Lage zu erkunden. Als er nicht zurückkam, schickten wir noch einen Kameraden hin. Es stellte sich heraus, dass sich Deutsche in dem Dorf aufhielten. Die dort stationierte Einheit griff Passanten auf und ließ sie Stellungen für ihre Flakgeschütze ausheben. Auch wir wurden rekrutiert und fingen an zu graben. Das war unsere erste Begegnung mit den Deutschen. Da wir nicht wussten, was wir von ihnen halten sollten, beschlossen wir zu fliehen. Wir hatten untereinander ausgemacht, dass wir kein Deutsch konnten, obwohl ich und noch ein anderer von uns ganz passables Deutsch sprachen. Der Deutsche, der uns beim Graben beaufsichtigte, wollte mit uns reden, doch wir bedeuteten ihm mit Handbewegungen, dass wir nach Hause gehen mussten, weil unsere Familien auf uns warteten. Gegen Morgen gelang es uns zu fliehen.  

 

Wir legten jeden Tag viele Kilometer zurück. Zuerst gingen wir nur in den Nachtstunden, doch dann beschlossen wir, auch tagsüber zu marschieren, um schneller voranzukommen. Wir hielten uns nach Möglichkeit an ungefährliches Gelände, vor allem an offene Felder. Manchmal nahm uns ein Bauer in seinem Karren bis zum nächsten Dorf mit, doch meistens gingen wir zu Fuß. Es gab harte Tage, an denen wir Hunger litten, doch es fanden sich auch immer wieder Bauern, die uns etwas zu essen gaben.

 

 

Nach einem langen Marsch erreichten wir endlich unser Ziel – Nikolajewskaja. Wir gingen in das erste Haus im Dorf, wo sich zu unserer Freude herausstellte, dass die Leute unseren Anführer kannten. Seine Frau war in diesem Ort geboren und ihre Verwandten wohnten immer noch dort. Die Einwohner berichteten uns von einer ständigen deutschen Präsenz in dem Dorf. Noch am Vortag hatten sich viele deutsche Militäreinheiten dort aufgehalten. Man erklärte uns, dass sich mitten im Ort eine Brücke über den Don befand. Wenn ab und zu größere deutsche Verbände anrückten, entstand dort ein Stau, sodass sich die deutschen Truppen manchmal einen oder zwei Tage im Dorf aufhielten.

 

Nachts herrschte Ausgangssperre und die Deutschen errichteten Barrikaden. Die Einwohner halfen uns, diese Hindernisse zu umgehen, sodass wir uns zu dem Haus stehlen konnten, in dem die Kontaktperson unseres Anführers wohnte. Als wir zu dieser Adresse kamen, trafen wir auf ein altes Ehepaar.

 

Der Mann, der wie ein typischer Bauer aussah, empfing uns freundlich. Er und seine Frau, die wir nach einiger Zeit „Opa“ und „Oma“ nannten, waren gesund und vital. Sie wohnten in einem geräumigen Backsteinhaus mit einem rot gestrichenen Blechdach. Der Alte brachte uns in Hütten unter, die in dem weitläufigen Hof standen. Er hatte eine sehr große Familie, darunter auch einige Töchter. Er teilte uns in „Familien“ ein: Du bist „der Mann“ von der und du „der Mann“ von der anderen … Kurz, wir bildeten eine große Familie. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich seine Töchter waren. Dass er sie uns so sorglos anvertraute (oder besser auslieferte), kam mir seltsam vor.

 

Eine der Hütten wurde mir und „meiner Ehefrau“ zugewiesen. Nach einiger Zeit erzählte mir „meine Frau“, dass sie verheiratet war und zwei kleine Kinder hatte. Ihr Haus lag weit entfernt am anderen Ende der Staniza. Sie blieb bis zum späten Abend bei uns und ging danach zu ihren Kindern. Morgens kam sie wieder und wir arbeiteten gemeinsam auf dem Feld. Ähnlich erging es auch den anderen „Brüdern“. Dagegen wohnte unser älterer „Bruder“ im Wohnhaus. Er hatte einen anderen Auftrag und war der Einzige, dessen Tätigkeit durch die Anweisungen des militärischen Nachrichtendienstes gelenkt wurde.

 

Jedenfalls wussten wir nicht, was wir dort tun sollten, und der „Opa“ redete nicht viel und sagte nur, wir sollten auf Instruktionen warten. Und so war es dann auch. Wir gewöhnten uns daran, dass der Alte manchmal für einen oder zwei Tage verschwand und nach seiner Rückkehr jedem von uns neue Anweisungen überbrachte. Tatsächlich war in der ersten Phase meiner Tätigkeit der Alte mein hauptsächlicher Verbindungsmann.

 

Später erfuhren wir, dass der Alte der Generalsekretär der kommunistischen Partei in der Region war. Als die Deutschen dieses Gebiet eroberten, posierte er als einfacher Bauer und diente unter dieser Tarnung als örtlicher Anführer des Untergrunds. Er stand in Verbindung mit den Partisanenorganisationen, die in der Umgebung agierten, und mit dem Befehlsstab der Roten Armee an diesem Frontabschnitt. Durch diesen Befehlsstab wurde die Verbindung zum Kommando des Nachrichtendienstes  hergestellt, das uns beauftragt hatte, und so konnte unser Trupp Nachrichten übermitteln und Anweisungen entgegennehmen.

 

 

Am Morgen nach der Ankunft in „Opas“ Haus entdeckten wir zu unserer Überraschung, dass am Zaun vor dem Haus deutsche Soldaten mit Funkgeräten und Feldtelefonen saßen, doch „Opa“ verbot uns, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Anfangs hockten wir die ganze Zeit im Haus, doch nach einigen Tagen schickte uns der Alte zur Feldarbeit, um die Geschichte zu untermauern, dass wir Traktoristen auf dem Weg in die Heimat seien.

 

Das Haus und das dazugehörige Gehöft waren mit einem Zaun umgeben. Vom Fenster meines Zimmers aus sah ich, dass einer der Soldaten Zeitung las. Ich war schon lange vom Weltgeschehen abgeschnitten, da ich weder Zeitungen lesen noch Radio hören konnte, und hatte größte Lust, mir das Blatt auszuleihen. Zuerst verzichtete ich wegen „Opas“ Verbot auf jede Annäherung, doch schließlich siegte die Neugier. Ich ging zu den Soldaten und grüßte auf Deutsch. Es war das erste Mal, dass ich mit deutschen Soldaten in ihrer Sprache redete. Einer der Soldaten sagte ganz erstaunt zu seinem Kameraden: „Er spricht Deutsch!“  Dann wollte er wissen, woher ich Deutsch konnte, und ich sagte, meine Mutter sei Deutsche. Ich bat ihn, einen Blick in die Zeitung werfen zu dürfen, die sich als der Völkische Beobachter, das Parteiorgan der NSDAP, entpuppte. Er reichte mir bereitwillig das Blatt und fing an, mir Fragen zu stellen. Er bot mir auch Schokolade und Zigaretten an, die damals höchst begehrte Artikel waren, und versprach, mir weitere Zeitungen zu bringen. Auch sein Kamerad nahm an dem freundschaftlichen Gespräch teil. Sie zeigten mir Fotos ihrer Familien und ich fragte sie harmlos, was sie in dem Dorf machten. Es stellte sich heraus, dass sie die Truppenbewegungen über den Don koordinierten. Die Einheiten, die den Fluss überqueren sollten, nahmen vorher Funkkontakt zu ihnen auf und stimmten mit ihnen den Zeitpunkt ab.

 

Als ich das Haus betrat, fiel einer der „Brüder“ aufgebracht über mich her und beschimpfte mich, weil ich gewagt hatte, entgegen dem Befehl des Alten mit den Deutschen zu reden. Als ich berichtete, was ich von den Deutschen erfahren hatte, legte sich sein Zorn und er hätte mich am liebsten vor Freude abgeküsst.

 

Am Tag darauf redete ich wieder mit den deutschen Soldaten und sie verrieten mir, dass ich in der nächsten Nacht nicht ruhig schlafen würde. Eine Panzerdivision, die  auf die Brücke zurollte, würde für sehr viel Lärm sorgen. Im Hause erwartete mich schon die ganze „Familie“, und die Nachricht, die ich ihr überbrachte, wurde sofort an das Kommando des Frontnachrichtendienstes weitergeleitet.

 

 

In jener Nacht schlief ich schnell ein, fand aber nicht viel Schlaf, weil ich bald von heftigen Explosionen geweckt wurde. Bevor ich begriff, was draußen geschah, fühlte ich eine starke Hitzewelle, die mein Gesicht verbrannte. Ein großer, glühender Bombensplitter hatte die Holzwand meiner Hütte durchbohrt und über meinem Bett die gegenüber liegende Wand durchschlagen. Meine Augenbrauen und Wimpern waren versengt und die Hütte fing an zu brennen. „Meine Frau“ war nicht da, und ich rannte wie von Sinnen in den Hof hinaus.

 

Rundherum stand alles in Flammen, und aus allen Richtungen hörte man Bombeneinschläge und Maschinengewehrfeuer. Es herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Ich wollte „meine Familie“ suchen, doch ich fand keinen Menschen. Plötzlich sah ich auf der Erde ein Stück gepunkteten Stoff, der von dem Hemd eines der „Brüder“ stammte. Ich fing an, mit den Händen zu wühlen, und zog den Mann und die anderen Kameraden aus einem Bombenkrater, in dem sie unter lockeren Erdschollen begraben lagen.

 

Wir nahmen Deckung und beobachteten, wie die deutschen Soldaten hin und her liefen, um sich zu verstecken. Welle um Welle stürzten die russischen Kampfflugzeuge vom Himmel und bombardierten die Brücke und die nähere Umgebung. Das Gelände um die Brücke brannte lichterloh, Krater brachen auf, Gebäude stürzten ein und Bäume wurden ausgerissen. Auf einer Seite des Flusses wartete ein langer deutscher Panzerkonvoi darauf, die Brücke zu überqueren. Plötzlich wurde einer der Panzer getroffen und ging in Flammen auf. Die Deutschen versuchten, den Konvoi am Ufer auseinander zu ziehen, um der Feuerfalle zu entgehen. Wenig später traf eine Bombe die Brücke und brachte einen der Pfeiler zum Einsturz. Uns war klar, dass dank der Zerstörung der Brücke der Vormarsch der deutschen Panzer auf dieser Achse zumindest einstweilen gestoppt war.

 

Wir waren einige hundert Meter von der zerstörten Brücke entfernt und konnten ein befriedigtes Lächeln nicht unterdrücken. Uns störte nicht, dass die Hütten im Hof brannten, und wir hatten keine Angst wegen der geringen Distanz, die uns vom Schauplatz des Luftangriffs trennte. Im Gegenteil, wir waren hochbeglückt über den Angriff der sowjetischen Bomber auf die deutsche Panzerkolonne. Ich weiß noch, dass einer von „meiner Familie“ zu mir sagte: „Sieh mal, was du fertiggebracht  hast …“ und auch die anderen beglückwünschten mich, als sei der Angriff mir allein zu verdanken.

 

Ich konnte kaum glauben, dass der Angriff nur auf Grund der Information erfolgt war, die ich den deutschen Soldaten entlockt hatte. Immerhin war es tatsächlich möglich, dass meine Nachricht der Roten Armee geholfen hatte, im entscheidenden Augenblick anzugreifen, und dieser Gedanke verursachte mir große Genugtuung. Dass es mir gelungen war, so kurze Zeit nach der Fallschirmlandung im Rücken des Feindes meinen Teil zu den Kriegsbemühungen beizutragen, machte mich glücklich.

 

Mir fielen verschiedene Ereignisse ein, die ich seit dem Ausbruch des furchtbaren Krieges vor über einem Jahr erlebt hatte. Ich dachte an die Willkür des Schicksals, die Zufälligkeit des Geschehens … Ich war Mathematiklehrer und hatte erst ein Jahr unterrichtet … Dann war der Krieg ausgebrochen … Ich hatte bei der Evakuierung der Bevölkerung geholfen … an der Charkow-Front gekämpft … War knapp dem Tod entgangen … War verwundet worden und wieder auf die Beine gekommen … War hinter den feindlichen Linien gelandet …

 

So viel war geschehen …

 

Ich versuchte, den Hergang der Ereignisse zu rekonstruieren … Ordnung in den Ablauf des Geschehens zu bringen …

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